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Ob wir auf Studienordnungen schauen, auf Lenkungssteuern oder die Vergütung von Topmanagern: Überall haben sich formelle Steuerungsmechanismen breitgemacht. Statt die Individuen zu überzeugen, möchte man sie lieber durch Restriktionen und Anreize fernlenken. Untersuchungen zeigen jedoch: Das schadet am Ende häufig mehr, als es nutzt.
Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser – so ein bekanntes Sprichwort. Was man kontrollieren kann, das sollte man auch kontrollieren, und was man nicht kontrollieren kann, sollte man möglichst unter Kontrolle bringen. Aber kein Vertrag ist vollständig: Wenn ich davon ausgehe, dass mein Partner jede Lücke ausnutzen wird, muss ich viel Energie aufbringen, um möglichst für alle Eventualitäten vorzusorgen. Wenn die Gegenseite dasselbe von mir erwartet, verwendet auch sie viele Ressourcen darauf, mich zu überwachen, statt auf unser gemeinsames Ziel hinzuarbeiten. Wie einfach ist das Leben stattdessen, wenn ich meinen Vertragspartner vertrauen kann: Niemand muss sich vor Ausbeutung fürchten und wir haben alle Ressourcen frei, um das gemeinsame Ziel zu erreichen. Das Sprichwort scheint also nicht in allen Fällen zu gelten. Vielmehr ist das wechselseitige Vertrauen, wo es möglich ist, die bessere Option.
Zwar ist es nicht immer falsch, auf formelle Steuerungsmechanismen zu setzen: Wenn etwa der Einzelne extrem profitieren würde, wenn er sich antisozial verhält, und dieses Verhalten umgekehrt extremen Schaden anrichten würde, wäre es naiv, nur auf individuelle Selbstsbeherrschung zu setzen. Dann muss man von außen gegensteuern: etwa um Kriminalität zu verhindern. Aber in vielen Bereichen setzt man immer schon starke Eigeninitiative und Selbstverantwortung voraus: etwa im Studium oder bei der Führung von Unternehmen. Gerade dann ist es widersinnig, nur oder hauptsächlich auf extrinsische Steuerung zu setzen.
Denn Kontrolle und Sanktionen sind nicht nur anstrengend und teuer – sie haben auch unerwünschte Nebeneffekte. Wie Überlegungen von Bruno S. Frey und Margit Osterloh (2005)1 gezeigt haben, schaden solche „extrinstischen Steuerungsmechanismen“, das heißt äußere Anreize oder Strafen, dem individuellen Kompetenzerleben und der Autonomie – und dadurch auch dem, was die Autoren ,prosozialen Präferenzen‘ nennen: dem Wunsch, zu einem gemeinsamen Gruppenziel freiwillig etwas beizutragen statt sich um den eigenen Beitrag zu drücken. Grob gesagt: Je strenger man uns beaufsichtigt, desto antisozialer werden wir. Wenn man den Individuen kein Vertrauen entgegenbringt, werden sie von sich aus tendenziell immer weniger leisten, sodass man immer mehr Zwang ausüben muss, um Dinge zu erreichen, die vorher selbstverständlich waren. Im schlimmsten Fall heißt das: Die Individuen verlieren jede Eigeninitiative. Für Unternehmen heißt das innere Kündigung und bloßer ,Dienst nach Vorschrift.‘ Für Schulen und Universitäten: Absitzen, Null-Bock-Haltung, Vier gewinnt.
Auch für gesamtgesellschaftliche Probleme wie den Umweltschutz werden häufig mehr oder weniger autoritäre Lösungen, etwa Zwang oder Lenkungssteuern, als mögliche Lösung präsentiert. Das Problem dabei: Wenn man die Individuen beispielsweise durch ein Pfandsystem zwingt, sich am Umweltschutz zu beteiligen, schwächt das einerseits ihre Bereitschaft, von sich aus in anderen, möglicherweise viel wichtigeren Bereichen etwas für den Umweltschutz zu tun: So fahren manche Leute, um brav ihredrei Pfanddosen abzugeben, gern mit dem SUV zum Supermarkt. Das Gewissen bleibt dabei rein – man tut ja schon etwas für die Umwelt! Andererseits fühlen sich Individuen durch solche Anreizsysteme häufig frei, überhaupt keinen Beitrag mehr zu leisten: etwa, indem sie einfach auf ihre 25 Cent verzichten und die Dose im Zweifel im Wald liegen lassen. Dieser sogenannte Verdrängungseffekt konnte in verschiedenen Experimenten gezeigt werden:
Man mag nun einwenden: Es gibt doch auch viele Gegenbeispiele für Gruppenaktivitäten, die in formell gesteuerten Systemen wie Universitäten stattfinden und trotzdem von allgemeinem Elan getragen werden. Doch das sind ja genau die Fälle, in denen die extrinsischen Reize sowieso in die gleiche Richtung gehen wie die intrinsische Motivation, also genau die, in denen es den zusätzlichen Anreiz gar nicht gebraucht hätte. Auch wenn trotz äußerer Anreize kein oder ein zu geringes Engagement auftritt, spricht das gegen extrinsische Steuerung: In der Situation hätte man sich die Kosten für die Sanktionen und Anreize auch gleich sparen können.
Wirklich problematisch ist das Prinzip „Kontrolle ist besser!“ aber dann, wenn ursprünglich sogar eine intrinsische Motivation vorhanden war, diese aber später durch extrinsische Reize verdrängt wird. Auf diese Weise können Menschen mit hohen Idealen, aber geringer Bereitschaft, diese Ideale externen Anreizen zu opfern, aus dem System herausfallen.
Die einzige Gruppe, die von Zwangs- und Anreizsystemen klar profitieren kann, sind Opportunisten mit schwachen Überzeugungen und geringer intrinsischer Motivation. Ohne Anreize würden sie mehr oder weniger nichts tun. Mit Anreizen tun sie das, was für sie das Beste ist, indem sie die Regeln befolgen, und werden dadurch besser gestellt. Aber gerade weil sie Opportunisten sind, sind sie unter Umständen gefährlich, denn es ist ihnen tendenziell egal, ob die jeweilige Zielgröße wirklich wünschenswert ist.
Aber warum sollte man irgendein gesellschaftliches System so einrichten, dass ausgerechnet Opportunisten die besten Chancen haben, zu den besten Schülerinnen, den besten Studenten und im Zweifel auch zu Topmanagerinnen zu werden, während Individuen mit hoher intrinsischer Motivation und starken Überzeugungen tendenziell schlechtere Karten haben? Gerade, wenn wir in politisch oder ethisch heiklen Fragen darauf setzen wollen, dass sich Führungspersönlichkeiten individuell verantwortungsvoll verhalten und nicht jede Regulierungslücke brutal ausnutzen, sollten wir uns darum kümmern, dass intrinsisch motivierte Menschen mit Ethos nicht nur nicht aus dem System fallen, sondern dass sie die besten Chancen bekommen, die ein System zu bieten hat. Im Augenblick passiert eher das Gegenteil. Wie kann man sich da wundern, wenn sich einzelne Politiker oder Topmanager auf gesellschaftlich unerwünschte Weise verhalten? Sie tun nur, was sie ihr ganzes Leben als Erfolgsrezept erlebt haben: Sie folgen extrinsischen Reizen.
1Osterloh, Margit & S. Frey, Bruno. (2005). Corporate Governance: Eine Prinzipal-Agenten-Beziehung, Team-Produktion oder ein soziales Dilemma?. 333-364. 10.1007/978-3-322-91307-4_15.
2Osterloh/Frey (2005)
Ein Kommentar zu „Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser“