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Ein Gespenst geht um in deutschen Feuilletons. Es ist das Gespenst des Linksliberalismus. Rechte Vordenker haben ihm den Kampf angesagt. Dass sie dabei an antikapitalistische Ressentiments appellieren, stellt die linksliberale Hegemonie vor eine Zerreißprobe. Sie muss der irrationalen Verführung widerstehen.
ZEIT-Titelthema: Der neue Klassenfeind. FAZ: beklagt die Abschottung der Linksliberalen. Deutschland oder zumindest die CDU, wie erstarrt in der Frage: Halten wir dem moderat liberalen Geist der Merkeljahre die Treue oder ,gehen wir auf die AfD zu?‘ Wird Deutschland #aufstehen oder ,Deutschland den Deutschen‘ zurückgegeben? Einerseits Dieselfahrverbote, andererseits Hambacher Forst. Hier AfD-Spendenaffäre, da weiter 16%. Die Demokraten haben das Repräsentantenhaus zurück. Trump ist immer noch Präsident.
Was hat das alles miteinander zu tun? In jedem dieser Gegensätze drückt sich der Konflikt scheinbar traditioneller und und schwerer fassbarer, globalisierungs- und fortschrittsfreundlicher Kräften aus. Die einen wollen eine Welt der klaren Grenzen, der ethnischen Homogenitäten, des Diesels, des Kohlestroms, der nationalen Selbstbestimmung. Die anderen am liebsten gar keine Grenzen, die Überwindung der Kategorie ,Ethnie‘, der idealerweise emissions- und abfallfreien Mobilität. Auch würden sie die Möglichkeit der nationalen Demokratien, Dummheiten zu machen, durch eine supranationale Ordnung aufs Allernötigste beschränken. Die Fronten sind bereits verhärtet. Kompromisse werden immer unwahrscheinlicher. Der Hegel für den Hausgebrauch sagt: Die Widersprüche werden sich auflösen und eine Synthese bilden. Der politische Realismus ergänzt: Je nach Wahlsystem wird – zur allgemeinen Frustration – der Medianwähler herrschen oder sich die politische Zersplitterung verschärfen.
Im Kreuzfeuer der Konflikparteien stehen vor allem zwei Gruppen: die Flüchtlinge und die angebliche globalisierte Klasse. Die einen sind heimatlos aus Not, die anderen mobil aus beruflichen Gründen, und wenigstens teilweise auch aus Überzeugung. Beide sind Hassfiguren für die Rechten. Die einen als kulturell unterlegene, aber wirtschaftlich bedrohliche Konkurrenten, die anderen als ,vaterlandslose Gesellen‘, denen man mal wieder traditionelle Werte einprügeln müsste. In Gestalt der erstarkenden Grünen formiert sich möglicherweise das politische Zentrum einer gesellschaftlichen Gegenbewegung: eine Volkspartei der Gutgesinnten, der Weltoffenen und Selbstreflektierten, die nicht zögern werden, ihre Ziele auch mit (mehr oder weniger) softer Gewalt durchzusetzen.
Vielleicht sind das die Frontverläufe der Zukunft: Hier die Rest-Sozialdemokraten, die neuen Grünen, die Liberalen, die vernünftig gebliebenen Konservativen, die auf offene Grenzen und Arbeitsmigration angewiesene Unternehmen, Start-Ups, NGOs, auch Kirchen – da die Allianz der Frustrierten: AfD, Kubitschek, Tichys Einblick, aber auch #aufstehen, ,Israelkritiker‘ und fortschritts- und freiheitshassende Intellektuelle. Ein paar Kulturschaffende werden noch hin und wieder mit solchen Akteuren flirten. Es wird antikapitalistische Podiumsdiskussionen in Theatern und aufgeregte Gastbeiträge marxistischer Kulturphilosophen geben. Vielleicht noch ein paar Skandalauftritte rechter Autoren auf Buchmessen. Und dann, irgendwann wird die Öffentlichkeit es vergessen, das heißt, die eine Öffentlichkeit, die offene Öffentlichkeit, während in den zahlreichen Gegenöffentlichkeiten (oder vielmehr Geschlossenheiten) die Islam- und Globalisierungskritiken weitergehen und sich bis an die Grenze des konzeptionell Möglichen radikalisieren werden. Inhaltlich ist das letztlich egal, weil die Gegenseite nicht mehr zuhört. Schon jetzt sagen Autorinnen Auftritte in Buchhandlungen ab, die die in ihren Augen falschen Bücher verkaufen. Schon jetzt hört man die Forderung nach einer Bartelby-Politik gegenüber den Rechten. Mit euch reden? Ich möchte #lieberNicht! Die mediale Aufmerksamkeitsökonomie verstehen, kann auch heißen, dem politischen Gegner die überlebenswichtige Ressource ,Aufmerksamkeit‘ zu entziehen. Einige Autoren, die immer Denkverbote beklagt haben, würden sich ziemlich wundern, wenn sie in ihren Echokammern zwar endlich alles, alles sagen dürfen, aber deshalb auch nichts mehr wirklich zählt, weil die offene Öffentlichkeit nicht mehr hysterisch aufschreit, sondern sich wieder sich selbst zugewandt hat: das heißt, dem, was sie für sich und für die Welt tun möchten. Die generalisierte Islamkritik wird zusammen mit einer generalisierten Kapitalismus- und Globalisierungskritik über Bord geworfen. Die Gebildeten können es nicht mehr hören. Was bleibt dann übrig? Nur pragmatische, minimale und sachorientierte Ansätze – alles, was den strammen Rechten wie auch extreme Linke frustiert. Gesellschaftliche Spaltung? Man könnte auch von gesellschaftlicher Differenzierung sprechen. Die Radikalen labern, die Mitte blockt ab, die zunehmend fragmentierte Politik wird immer handlungsunfähiger, die Funktionseliten steuern und verwalten. Entweder das, oder die Frustrierten übernehmen und machen dann Politik nach Gefühl.
Unter solchen Umständen muss sich der oder die Einzelne umso stärker fragen, wo er oder sie steht. Politische Ambiguität verteuert sich. Weil die Herausforderung so grundsätzlich ist, können es sich die Individuen und besonders die Linksliberalen immer weniger leisten, zwischen offener und geschlossener Gesinnung herumzulavieren. Einerseits für Flüchtlinge, aber gegen Freihandel zu sein; die Globalisierung zwar im Allgemeinen gut zu finden, aber nur dann, wenn praktisch alles bleibt, wie es ist; technischen Fortschritt zwar grundsätzlich gutheißen, Gentechnik aber rundheraus ablehnen – das bekommt in dieser Lage etwas nicht nur Unglaubwürdiges, sondern auch zunehmend Unmögliches. Gerade für die Linksliberalen, die den Kompromiss und den Ausgleich verkörpern, bedeutet diese Situation eine Zerreißprobe. Es stellt sie vor die fatale Wahl, entweder liebgewonnene Ressentiments über Bord zu werfen oder sich ganz vor den Zug des Irrationalismus zu werfen. Wenn – und nur wenn – die Linksliberalen sich der irrationalen Verführung ausliefern, ist die offene Gesellschaft nicht mehr zu verteidigen.
Zwar haben manichäische Formeln à la ,Wer nicht für uns ist, ist gegen uns‘ immer auch etwas Unehrliches, weil sie aufgrund weniger Gemeinsamkeiten Unterschiede und auch Konflikte innerhalb eines Lagers verdecken. Doch wenn die Kampfsansage so generell ist, wenn neben den Flüchtlingen und der globalisierten Klasse auch zivilgesellschaftliche und übernationale Akteure, Unternehmen, Medien und Regierungsorganisationen zum Feind erklärt werden, dann sind solche nach innen unscharfen, aber nach außen überdeutliche Abgrenzungen unvermeidbar. Wer alles und jeden zum Feind erklärt, um Anhänger zu mobilisieren und die eigene Radikalisierung zu legitimieren, darf sich nicht wundern, wenn irgendwann auch alle als Feinde auftreten – so möchte man der Allianz der Frustrierten zurufen.
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