Die Heimatlosen

Kritik an einer angeblich elitären globalisierten Klasse ist wieder in Mode. Doch Politiker, die auf dieser Basis um Stimmen werben, wollen entweder selbst in die Elite aufsteigen oder ihre Position darin verbessern. Deshalb verdienen sie kein Vertrauen.

Kürzlich hat Alexander Gauland in der Rubrik „Fremde Federn“ in der FAZ eine Reihe globalisierungskritischer Thesen verbreiten dürfen. An dieser Stelle haben auch schon Putin und Erdogan veröffentlicht. Der AfD-Fraktionsvorsitzende fabuliert von einer „globalisierten Klasse“, die in „international agierenden Unternehmen, in Organisationen wie der UN, in den Medien, Start-ups, Universitäten, Stiftungen, in den Parteien und ihren Apparaten“ sitzt und von dort aus „kulturell und politisch den Takt“ vorgibt. Sozial bleibe dieses Milieu unter sich, die „Bindung dieser neuen Elite an ihr jeweiliges Heimatland“ sei „schwach.“ Dieser Umstand rechtfertige den Populismus gewissermaßen als Notwehr der normalen Leute gegen eine Elite, die angeblich alles aufs Spiel setzt, was eine freiheitliche Lebensweise attraktiv macht: etwa den Rechtsstaat, die Meinungsfreiheit oder die Gleichberechtigung der Frau.

Auf einen routinemäßigen Aufschrei – Wie kann man solchen Thesen bloß Raum bieten? Werden sie nicht verschwinden, wenn sie stattdessen bloß in der Jungen Freiheit erscheinen? – folgte in vielen Medien eine interessante Spurensuche: Hatte der Fraktionsvorsitzende seine Thesen etwa von Hitler kopiert? Oder war es doch nur der Tagesspiegel gewesen? Nachdem eine Reihe möglicher Vorbilder ausgemacht war, stand eine für viele Linke unangenehme Frage im Raum: Kann es sein, dass alle Globalisierungskritiker, ob sie wollen oder nicht, zumindest häufig wie Hitler argumentieren? Speisen sich Antikapitalismus, Antiglobalismus und Antisemitismus aus den gleichen intellektuellen Quellen? Wiederholen die Globalisierungskritiker von Attac bis Gauland nicht in gewisser Weise immer die alte Verschwörungstheorie vom internationalen Finanzjudentum?

Es scheint, als müssten sich diese Globalisierungskritiker entweder zu Hitler bekennen oder sich nach neuen geistigen Vorbildern umschauen. Das mag für sie bedauerlich sein. Dass Kritik dieser Art offenbar so eine lange Tradition hat, wirft jedoch noch eine andere Frage auf: Woher eigentlich der Hass gegen Menschen, die tatsächlich oder vermeintlich an keinen Ort gebunden sind? Sie nehmen doch niemandem etwas weg.

Die Grundform dieses Ressentiments stammt vermutlich aus der Zeit, als einige Menschen gerade zum ersten Mal sesshaft geworden waren. Hier tritt in archaischer Gestalt zum ersten Mal der Gegensatz zwischen den „somewheres“ und den „anywheres“ auf, den auch David Goodhart beschwört. Während manche über Generationen hinweg dasselbe Land beackerten – in der Regel unter despotischer Herrschaft – und von den Erträgen des Landes abhängig waren, zogen andere noch für lange Zeit frei durch die Welt, ob noch als Jäger und Sammler, als nomadisch lebende Hirten oder als Händler. Die zweite Gruppe war weniger abhängig von den Erträgen eines bestimmten Landes und insofern auch weniger daran gebunden.

Natürlich gibt es keine direkte Verbindung zwischen den Nomaden früherer Zeiten, dem „fahrenden Volk“ des Mittelalters und den „anywheres“ beziehungsweise den mobilen Eliten von heute. Die Nomaden haben sich nicht irgendwann zu Managern oder NGO-Mitarbeiterinnen weiterentwickelt. Doch der Gegensatz der Lebensweisen ist geblieben. Häufig ist es vor allem das gegenseitige Unverständnis für die Lebens- und Wirtschaftsweise der jeweils anderen Gruppe, die für Konflikte sorgt: Wer davon lebt, ein Feld zu bestellen, Autos zusammenbauen oder Kaffee zu servieren, kann sich von diesem Standpunkt aus mit Recht fragen, wie ein Banker oder Manager, der weder etwas Sichtbares produziert noch einer deutlich als solcher erkennbaren Arbeit nachgeht (außer durch die Welt fliegen und in hübschen Büros und Konferenzräumen sitzen) überhaupt genug zum Leben haben kann. Und wenn diese Leute dann auch noch so sichtbar besser leben als man selbst, liegt der Verdacht schon nahe, dass irgendeine Form von Betrug im Spiel ist.

Umgekehrt führt auch die Lebensweise der „somewheres“ zu Unverständnis bei denen, die sich weniger an einen Ort gebunden fühlen. Die strengen Wertesysteme, Folklore, die Gebundenheit, häufig auch der kirchlich-institutionalisierte Glaube – das ist vielen „anywheres“ heutzutage fremd und kann sich auch häufig ihres Spottes und oder ihrer Verachtung sicher sein. So unbegründet die Angst (von Teilen) der sesshaften Masse vor Andersgläubigen oder sexuellen Minderheiten den „anywheres“ erscheinen mag, diese Einstellungen werden durch die die verächtliche Verständnislosigkeit für solche Bedenken, wie sie die vermeintlichen Eliten vorbringen, nicht eben gemindert.

Bis dahin müssen wir Gauland (und Hitler) wohl folgen. Die Sollbruchstelle zwischen ihnen und denen, die sie verabscheuen, ist jedoch die Frage, welche Schlüsse daraus zu ziehen sind. Der Konflikt verläuft hier weniger zwischen den Eliten und den Massen, sondern vielmehr quer durch beide Gruppen. Grob gesagt, möchte die eine Gruppe an Fortschritt und Globalisierung festhalten, trotz gewisser Verwerfungen, zu der diese Entwicklungen augenscheinlich geführt haben. Die Gründe dafür sind vielfältig: von einer Vorliebe für wirtschaftlichen Fortschritt oder individuelle Freiheit bis hin zum Gedanken eines globalen Friedensprojekts. Die andere Gruppe möchte – auf ganz verschiedenen Wegen und in ganz unterschiedlichem Maß – aus diesen Entwicklungen aussteigen oder sie sogar zurückdrehen. Die Nachteile erscheinen ihnen im Verhältnis zu möglichen Vorteilen zu klein. Der skizzierte Gegensatz zwischen Elite und Masse besteht zwar grundsätzlich weiter. Was jedoch eigentlich ausgefochten wird, ist ein Konkurrenzkampf innerhalb der Elite, wobei eine noch relativ globalisierungsfreundliche Mehrheit ihre Stellung zu halten versucht und die globalisierungskritische Minderheit diese Stellung einnehmen möchte. Gemeinsam ist ihnen ein Streben nach Macht – vor allem politischer und diskursiver – sowie nach den damit verbundenen Ressourcen: Stiftungsgelder, Diäten, Fördermitteln, akademischen Posten, Prestige.

Deshalb sollten gerade diejenigen „somewheres“, die sich – ob aus guten Gründen oder nicht – von der Globalisierung gebeutelt fühlen, keine besonderen Hoffnungen in die Bemühungen Gaulands und seiner Verbündeten überall auf der Welt setzen. Denn die AfD (und alle anderen Populisten) haben keinen Anreiz, sich faktisch und nicht nur durch Symbolpolitik für die Menschen einzusetzen, die sie an die Macht bringen. Es liegt auch gar nicht in ihrer Macht , die Globalisierung zu stoppen oder rückgängig zu machen, ohne auch ihren eigenen Anhängern massiv zu schaden.

Auch wenn Gauland mit seinem altmodischen Sakko und betont unzeitgemäßem Auftreten glaubhaft den Eindruck vermitteln vermag, keiner globalen Elite anzugehören – wenn es seinen Parteigängern gelingen sollte, irgendwann einmal in Regierungsämter aufzusteigen, dann werden entweder ein Teil der von ihnen verdammten globalen Elite werden müssen, oder sich zum Nachteil Deutschlands aus dieser Elite ausschließen: und damit auch zum Nachteil derer, die sie gewählt haben. Auch ein AfD-geführtes Deutschland müsste schließlich entweder eine global vernetzte Exportnation bleiben oder zum eigenen Schaden aufhören, es zu sein. Der einzige Bereich, wo sich eine solche Regierung zur Befriedigung ihrer Anhänger wirklich austoben könnte, wäre die Innenpolitik: mehr Überwachung, mehr „Sicherheit“, weniger Rechte für Minderheiten, weniger Pluralismus, härtere Strafen für Kapitalverbrechen, mehr Jugendgefängnisse, mehr angebliche Traditionen. Doch was ist eine Tradition wert, die politisch verordnet werden muss? Alles andere ist Schikane, die dem AfD-Wahlvolk allenfalls den Vorteil der Schadenfreude bringt, aber an ihrer vermeintlichen oder tatsächlich Benachteiligung nichts ändern kann. So wird sich der Zorn der Masse als Bumerang erweisen.

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