Allegro am Arsch

„Mein Leid ist eine Ritterburg, die einem Adlerhorst

gleich hoch oben auf der Berge Gipfel in den Wolken liegt;

keiner kann sie erstürmen.“

S. Kierkegaard

Im Frühling dieses Jahres erfasste eine Welle von Euphorie die deutschen Feuilletons: der Roman der Generation X sei endlich geschrieben worden. Von besagtem Roman hieß es, dass „[v]on diesem Buch […] eine neue Jugendbewegung ausgehen“[1] könne. Allegro Pastell sei „mehr als bloß ein weiteres gelungenes Buch. Es ist ein unmittelbar zeitgenössisches und gleichzeitig in sich absolut stimmiges Dokument einer ästhetischen Zeitenwende.“[2] Ist dieser Roman, der weder Spannung noch Spannungsbögen kennt, in dem die Figuren auf etwas mehr als zweihundert Seiten Leerlauf um sich selbst kreisen, tatsächlich der festgeschriebene Zeitgeist? Der Fanfarenstoß in eine neue Welt Post-Sinn-Post-Randt? Wenn ja, dann gibt es wahrscheinlich ein Problem.

Aber: first things first, wie die notorisch Anglizismen-verwendenden Hauptfiguren aus Allegro Pastell sagen würden.

Im März erscheint Leif Randts Roman Allegro Pastell, der im Einzelhandel als Germany’s next Lovestory angepriesen wird. Das Buch wird in den wenigen Monaten, die es auf dem Markt ist, beinahe ausnahmslos positiv besprochen. Und nicht nur das: neben Christian Kracht, Rainald Götz und Michel Houellebecq wird Leif Randt bei jenen eingereiht, die schonmal den Zeitgeist eingefangen und gewinnbringend niedergeschrieben haben sollen. Zu Recht?

Naja. Randt beschreibt eine Liebesgeschichte, die eigentlich keine ist. Bis auf die Tatsache, dass sie es an manchen Stellen beschwören, wirkt keine der Figuren verliebt. Da ist die 30-Jährige Tanja, eine Schriftstellerin, die in Berlin wohnt und mit ihrem ersten Roman sehr erfolgreich war und der 36-jährige Jerome, der vielversprechende Webdesigner, der in einem kleinen Ort in Hessen wohnt. Die Geschichte setzt ein, als Tanja und Jerome schon einige Monate ein Paar sind. Am Ende sind sie keins mehr. Zwischendrin gehen beide auf Partys, nehmen mäßig Drogen, trennen sich, kommen wieder zusammen, trennen sich. Das alles in Elektromietautos, im Zug, in gut eingerichteten Wohnungen. Des Weiteren passiert: Nichts. Zwischen den Introspektionen über Heteronormativität, Sportschuhen und der beruflichen Perspektive ist kein Platz für jemand anderen – weder für Freunde, noch für Familie und schon gar nicht erst für den Partner oder die Partnerin. Das, was man auf den Seiten zu lesen bekommt, ist die konstant aufrechterhaltene Außenperspektive, mit der die Figuren auf ihr eigenes Leben schauen. Nie passiert etwas einfach so. Alles, was passiert, und das ist ohnehin schon wenig, wird aufgenommen, verarbeitet und dokumentiert. Das führt zu unironischen dahingestellten Sätzen wie:

„In der Folge hatten sie leicht pathetischen Sex auf der Couch, bestimmt von der Überzeugung, dass sie nun etwas fraglos Gutes für ihren Geist und ihren Körper taten.“

Oder:

„Tanja konnte es gutheißen, wenn sich jemand dafür entschied, eine krass tätowierte Person zu werden, so wie Justin Bieber, aber nicht, wenn jemand bloß tätowiert sein wollte.“

Probleme oder Spannungen werden vom Autor tunlichst vermieden. Jeromes Vater geht zur Krebsvorsorge – und ist kerngesund. Tanjas depressiver Schwester – geht es auf einmal besser. Während Tanja und Jerome allgemeine Aussagen über sich selbst machen (à la „Sie dachte das, weil“, „Er fand das, weil“) fließt das Leben zähflüssig vorüber. Das Ganze bewegt sich in einer von Anglizismen getränkten, dennoch trockenen, leidenschaftsbefreiten Sprache. Randts Methode ist die radikale Analyse, die totalitäre Metaperspektive. Will heißen: der Roman ist die erzwungen neutrale Beschreibung zweier Personen, die die Stimmung kontinuierlich lauwarm halten. Das Ausbleiben von Ausbrüchen, Verlusten oder Überraschungen ist bedrückend. Die konstante Selbstkontrolle und Beharrlichkeit der Figuren zementieren die Temperatur dauerhaft bei zwei Grad unter Zimmertemperatur, bis das Buch irgendwann zu einem sehr faulen und künstlichen Ende gebracht wird: Jerome schwängert ausversehen das Klischee der aufgeräumten Frau und kann deswegen (erstmal) nicht mit Tanja zusammen sein.

Wo verbirgt sich der Zeitgeist? Wahrscheinlich in besagtem Nichts bei Zimmertemperatur. Menschen, die wie Tanja und Jerome vom Leben verschont geblieben, ohne materielle Sorgen und auch sonst relativ unbedarft sind, wirken irgendwie unglücklich aber auch irgendwie glücklich zugleich. Die eigene Perspektive auf sich selbst ist das Zentrum der Aufmerksamkeit. Noch nicht mal eine nähere Beschreibung der Städte, in denen Tanja und Jerome leben, schafft es ins Buch. Was Leif Randt in Allegro Pastell zu beschreiben scheint, ist das metaphysische Ausbleiben von Sinn und Bedeutung. Alles ist gleich wichtig, gleich unwichtig, gleich schön und gleich egal. Wie Leif Randt selbst postuliert: Glück, das ist, wenn alle Optionen gleich gut sind.

Was bleibt ist, wie man sich zu sich selbst verhält. Den Rest, die Welt, hält man auf Distanz. Rauscherfahrungen sind berechnet. Gefühle für den Partner können von einem Tag auf den anderen verschwinden. Aber es gibt kein Problem. Man versteht sich, denn man hat eine Therapie gemacht, oder?

Auf Tripadvisor empfehlen wahrscheinlich vier von fünf Benutzern die Welt weiter, in der Jerome und Tanja leben. Anders als beispielsweise in dem Roman Serotonin von Michel Houellebecq, in dem der Protagonist Florent-Claude von seiner inneren Leere vollends aufgefressen wird, bleiben Randts Figuren lebensfähig. Und nicht nur das. Das Losgelöstsein von der Welt scheint für die Figuren genuin unproblematisch, sogar erwünscht. Denn nur, wenn die Dinge nicht zu schnell passieren, absehbar und planbar sind, behält man die Kontrolle. Und das unterscheidet Leif Randt von seinem vermeintlichen Vorbild Houellebecq. Wenn in Houellebecqs Buch Serotonin der Hauptcharakter scheitert und Selbstmord begeht, ist klar, dass es sich um eine bitterböse Gesellschaftssatire und Sozialkritik handelt. Es besteht ein Missstand, beispielsweise der kollektive Sinnverlust durch bestimmte soziale und ökonomische Strukturen, der angeprangert wird. Es ist gut möglich, dass Leif Randt mit Allegro Pastell auf eine ähnliche Problematik aufmerksam machen wollte. Aber er hat es nicht geschafft.

Tanja und Jerome scheitern nicht an ihrem Leben, sondern führen es relativ erfolgreich fort. Und ganz im Gegensatz zu den konkreten sozialphilosophischen Problemen aus Serotonin, die im kollektiven Sinnverlust ihre Symptome haben – und denen Philipp Neudert bereits eine philosophische Lagebesprechung gewidmet hat[3] –  bieten die Figuren aus Allegro Pastell sogar noch Identifikationspotential: das Leben, wie Tanja und Jerome es führen, gilt auf einmal als erstrebenswert. Hinter dem Lebensstil beider Figuren hat sich eine recht eindrucksvolle intellektuelle Argumentationsmaschinerie entwickelt. Der Zustand emphatischer Präferenzlosigkeit allen gegebenen Optionen gegenüber wird post-pragmatic-joy genannt und die übergeordnete Strömung Neoataraxie. Psychohygiene – also eine saubere Seele zu haben – ist das Zauberwort. In anderen Worten avancieren Tanja und Jeromes verabsolutierte Perspektiven auf sich selbst und die daraus resultierenden, stets berechneten Handlungen, zu einem erstrebenswerten Lebensstil. Die Metaperspektive, das ständige Abstandhalten und Draufschauen auf das eigene Leben, wird dem natürlichen, spontanen und produktiven Verhalten zur Welt vollkommen nachgeordnet. Aber das ist ein Problem, das an anderer Stelle behandelt werden müsste.

Wie soll man Allegro Pastell nun verstehen? Leif Randt selbst beschreibt esals ein „realistisches, aber gut gelauntes Buch [..] über die deutsche Gegenwart.“[4] Würde ich Leif Randt einmal treffen, würde ich ihn gerne fragen, wo denn die gute Laune in seinem Buch ist. Und, wichtiger, worin eigentlich der Wert besteht, über die Gegenwart zu schreiben. Denn die Gegenwart ist ja so wie sie ist – und was habe ich davon, dass jemand  sie mir in ihrem Abfuck unter die Nase reibt? Soll ich das jetzt abfeiern?  

Der Anspruch, die Welt massentauglich zu beschreiben, scheint mir vergleichsweise gering. Allegro Pastell schafft nur das – zu beschreiben, bis es nichts mehr zu beschreiben gibt. An keiner Stelle wird der Allegro-Pastell-Kosmos transzendiert, weitergedacht oder durchbrochen. Am Ende des Romans ist es beinahe genauso, wie es am Anfang war, ohne, dass zwischendrin viel passiert wäre. Man könnte an jeder Stelle des Buches einsetzen, lesen und wieder aufhören, ohne, dass man irgendetwas verpassen würde. Wenn das die „Gegenwart“ ist, dann ist sie ein Gefängnis. In der konstanten Distanz zur Welt gibt es kein Ausbrechen, keine Hingabe, keine Bewegung mehr. Ist das der Zeitgeist und wenn ja, ist das ein Grund, euphorisch zu sein?

Vielleicht ist Leif Randts Roman ja auch radikal missverstanden worden. Vielleicht wollte der hippe Käppiträger Randt tatsächlich abbilden, was für schreckliche, angepasste, gut gelaunt in Fitnessstudio gehende Narzissten unsere Zeit hervorgebracht hat. Stattdessen? Preise, Lob, Gejubel an gut gelaunten Narzissten, der endlich mal gesagt hat, wie es ist. Sein soll? Und nun natürlich die Freaks, die es nachmachen. Höchstwahrscheinlich ist die soziale Wirkung seines Romans Leif Randt aber auch wirklich egal. Und im schlimmsten Fall bemerkt Randt noch nichtmal, wo das Problem liegt.

Auf einer Lesung wird Leif Randt die Frage gestellt, dass Jerome ja Webdesigner ist. Dieser Beruf hätte doch mittlerweile etwas Antiquarisches. Ob man als Webdesigner noch so richtig Geld verdienen kann?  Leif Randt antwortet: Ja, ja da könne man noch Geld mit machen. [5] Wenn das mal nicht die großen Fragen sind.


[1] https://www.zeit.de/2020/11/leif-randt-allegro-pastell-rezension-buch-literatur

[2] https://www.sueddeutsche.de/kultur/leif-randt-allegro-pastell-roman-kritik-1.4834307

[3] https://diefunzel.com/2019/01/18/serotonin-mangel/

[4] https://www.youtube.com/watch?v=daJrixd_p0I, 3:04 – 3:08.

[5] https://www.youtube.com/watch?v=r9aF0yMP6f8; 32:42-32:46.

4 Kommentare zu „Allegro am Arsch

  1. Nein: ihr Feuilletonisten, hier wird keine „neue“ Jugendbewegung beschrieben. Und Ja: Frau Rosendorfer, es ist
    d i e neue-alte – aber nicht nur (Jugend)Bewegung. Oder doch, weil wir alle ja etwas Fötales, Jugendliches behalten? ..bis ans überraschungsfreie Ende, dass dann doch überraschend kommt.
    Egal.
    Das Überraschende der beiden direkt aus dem Leben gegriffenen Romanhelden ist ihr intuitives Streben nach Überraschungsfreiheit. Und wen wundert das?
    Nur Feuilletonisten und Frau Rosendorfer aus unterschiedlicher Perspektive.
    Eigentlich sonst keinen in der Bewegung. Keinen der so bewegten Beweger. Denn, wenn um diese herum der Sturm der potentiellen Krisen-Überraschungen sein Medien-Wesen treibt, wenn Arbeit und Leben und Welt einem schwankenden Boot ähnlich werden, dann ist das letzte Boot eines, dass in der Bootsgarage am stillen See Abenteuer-Satt à la Carte bietet: vorgefertigte Abenteuer-Serien in Öl auf digitalen Leinwänden. Jerome arbeitet ja in einer digitalen Orkanwelt und bewegt die virtuellen Unwetter. Tanja bewegt Texte und beschreibt das Leben in konservierten Vorstellungen. In beiden Welten bewegt sich nicht „der“ Zeitgeist, sondern die Zeitgeister in kaum mehr zu überschauender Vielfalt und provozieren ( besser simulieren?) geradezu eine stürmische Bootsfahrt, selbst in einer Garage, gerade auf dem Sofa, erst recht im Film. Dann wird nach dem Film die Frage, ob die Nudeln sieben oder acht Minuten garen sollten zu einer Neu-Existenzialistischen Streitfrage. Dann rinnt für einige wohltemperierte Minuten der Zeitgeist aus den Schweißporen der um d i e relevanten Lebensfragen Bemühten – bevor sie auf das kleine Glück in der Banalität anstoßen: Essen, Trinken, Arbeiten, Liebe, Schlafen, Aufstehen usw. usw.

    Was zu diesem überraschungsfreien Gleiten führt, ist sicherlich das Wissen um das schwankende Seil das ich auch selber bin, über einem Abgrund gespannt oder wahlweise das dünne Eis auf dem man in dieser, die (Jugend)Bewegung umschwänzelnden Zeit- tanzt oder gleitet: ein Überraschungsschritt und der reale Sturm bricht los. Wer weiß schon woher und wohin? Da reichen die Stürme die in den unmittelbar angrenzenden Welten – Politik, Wirtschaft, Arbeit, Familie, Freunde- walten oder in Welten die morgen das Seil in mir reißen oder das Eis -in mir zwischen uns – schmelzen lassen könnten. Hauptsache der Zug hält am selben Gleis wie immer. Es erfüllt viele, wenn die Diskussionen um die dankbare Un-Pünktlichkeit der Züge nie endet. Sonst hätten wir ja noch das Wetter. Beides exklusives Beispiel aus dem Abenteuer- Land der „Moderne“.

    Dann, wenn Seile reißen, Eis bricht, Gewohnheit mich verlässt, stehe ich vor der Qual der Neuanfänge ohne Mittelstands-Sicherungsseile: der Dienstwagen weg, die betriebliche Alterssicherung verflogen, das Bootshaus abgebrannt -neue werden am See nicht mehr zugelassen wg. ökologischer Bedenken- eine betriebliche Altersversicherung bietet der neue Arbeitgeber nicht mehr -wg. der globalisierten Konkurrenz – das Berufsfeld des Webdesigners ist abgeerntet, dafür müsste er ins Billiglohnland ziehen oder Umschulen, die nächste Eigentumswohnung muss eine Mietwohnung werden, Eigentumswohnungen sind in den letzten Jahren doppelt so teuer geworden und die Mietwohnung liegt aus gleichen Gründen dann im Hochhaus am Stadtrand. Und gar nicht davon gesprochen wie die Freunde und Bekannten im Umkreis von einhundert Metern aus diesem Seilriss erleben würden. Solche Aufregungen will keiner im direkten Umfeld vor Augen haben. Das würde ja erschütternd etwas realisieren: diesem unfassbaren Nicht-Geheuer ins schwarze Loch sehen? Das ist ja das Letzte. Wir haben ja noch längst nicht die neuen Abenteuer-Serien auf Netflix alle durch. Da kann man echt transzendieren, Welten erkunden, sich bewegungslos bewegen, das bringt Blut in Wallung, Kreisläufe auf Hochtouren. Aber: das Übertragungsding hat einen Knopf. Und danach kann ich das Streitgespräch über die angemessene Temperatur meines Bordeauxweines führen, der erfreulicherweise nach dem zweiten Glas endet.
    Glück und Glas, wie leicht beschlägt das.

    Bitte, haltet Euch deshalb von Überraschungen frei. Die sind total überbewertet und auch nicht mehr das, was sie mal waren. Es ist ja fast alles durchlebt. Alle Achttausender sind bestiegen, die Pole erwandert -übrigens schmilzen die ja auch. Und die Gletscher weinen jetzt auch schon. Was soll ich also dort? Denn überall wo ich bisher das Glück suchte und noch oft genug fand, dort wo ich den Abstand von meinem Alltags-Ich noch finden konnte, da trampeln die Massen über das Unauf-gedeckte mit Füßen. Wenn ich höre, „aus dem Alltag ausbrechen“, dann höre ich Floskeln, wittere Risiko. Da lob ich mir mein Bootshaus, darin darf ich einbrechen und habe meine Ruhe. Die Aufregung bis dahin reicht mir als Abenteuer: hält das Auto noch, komme ich gut durch alle Staus -obwohl gerade dort die Abenteuer lauer: wer da so alles reinfährt und so treibt- und jetzt dazu das bewegende Thema: Rettungsgassen. Da reicht es mir, wenn ich jeden zweiten Wagen darauf aufmerksam machen muss. Oder mich an den Ausfahrten über die Müllberge aufregen muss. Ich kenne keinen mehr der gar nach einem anderen Sinn sucht als wie dem Stau zu entgehen. Ein partyfüllendes Thema.

    Ach sie meinen d e n Sinn? Ja, das waren noch Zeiten, einmal d e r große Boom, die Nische! Wer „Humanistische Psychologie“ sagte, wusste wovon man sprach. Seit wir aber mit unbezahlbaren aber unwirksamen Sinn-Such-Angeboten überschüttet wurden, weiß eh keiner mehr was man da sucht. Man munkelt: eigentlich nur den Anderen! in überraschender Nähe. Aber wer auch das einmal erlebt hat, strebt meist nach „höherer Überraschungsfreiheit“. Der Mensch ist das „Tier“, dass den Anderen sucht, ihn aber nicht ausstehen kann. Deshalb bleibe ich lieber bei mir. Da bin ich auch nicht alleine.

    Aber was will man machen: Seit Allegro die größte polnische Internetauktions-plattform und Pastell ein Restaurant in Passau geworden ist, scheint auch diese Nische neu bedient zu sein. Man erkennt beides nicht mehr.

    Und wenn Christian Kracht, Rainald Götz und Michel Houellebecq den Nischen-Zeitgeist ja schon eingefangen haben, dann kann ja jetzt nur der Massen-Zeitgeist kommen. Einer eben, in dem Murmeltiere gehalten werden. Die Bewohner dieser Nische haben Ihren Nitzsche verstanden: Dieses zyklische Zeitverständnis war für ihn die Grundlage höchster Lebensbejahung. Wir müssen uns Sisyphos und den letzten Menschen ja eh als einen Teilzeit-Glücklichen vorstellen der seine Balance als eine Alpenüberquerung empfindet und die Nachrichten in seiner Mailbox als daily News Über-Überraschung. Einer der vor lauter Netzwerkfreunden kaum Gelegenheit hat, aus seinem Bootshaus zu gehen. Die minütliche Beantwortung sinnfreier Postings fesselt ihn, macht das Seil vergessen, lässt Gedankenfrei über noch so dünne Eisschichten laufen. Was sage ich denn Eisschichten: Über berechenbare Wellen an der Seilwinde surfen. Immer die Nase im Zeit-Wind. In Skihallen überschaubare Abenteuer eingehen. In Hochseilgärten angeschnallt Risiken testen.
    Und danach: hinein ins Abenteuer übervoller Mailboxen und Seitenlange WhatsApp Sprüche studieren. Alles nicht so ohne.

    Vielleicht ist der Roman ja ein Heldenepos.

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