„Everybody is awful“

Ein unwitziger Text über einen Witzemacher, der nicht zum Lachen ist.

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Wer wollte nicht schon immer mal Frank Elsner, Günther Jauch oder Jan Böhmermann erschießen? Das Fernsehen ist als Medium noch viel gewalttätiger als das Internet. Im Fernsehen gibt es immer nur eine Wahrheit, ganz wenige, die sprechen, und sehr viele, die zum Schweigen verdammt sind.  Mit einem solchen Mord an einem TV-Star vor laufender Kamera beginnt die Karriere des Jokers im gleichnamigen Kinofilm, der derzeit Kassenrekorde bricht und unter anderem den Goldenen Löwen in Cannes erhielt.

Was wurde an diesem Werk, das mit Preisen überschüttet wurde und schon jetzt zu den kommerziell erfolgreichsten Filmen aller Zeiten zählt, nicht alles bemängelt: Hauptanklagepunkt der Filmkritik, wenn auch meist hinter geschickteren Formulierungen versteckt: Joker fällt über seinen Protagonisten kein eindeutiges moralisches Urteil. Die Figur wird nicht nur erklärt, sondern geradezu sympathisch gemacht. Statt wie Batmans Butler in The Dark Knight das schlichte Verdikt zu fällen: Manche Menschen wollen die Welt einfach brennen sehen und damit die Frage nach dem Warum auszublenden, gibt der neue Film viele, für den Geschmack mancher Kritiker zu viele Antworten: Ja, es liegt an der Politik, an der Psyche, an den Medien, der kranken Gesellschaft, der Zurückweisung durch Frauen. Geschicktere Kritiker drücken den im Grunde billigen moralischen Einwand etwa so aus: Der Film flüchtet sich in billigen Hollywood-Nihilismus, am Ende bleibe nur die sehr generelle Aussage, Menschen behandelten einander oft sehr schlecht, alles ist doof, Vorhang. In den Worten des Jokers: Everybody is awful. Wie langweilig!

Würde es in dem Film tatsächlich nur darum gehen, wäre er tatsächlich wenig aufregend. Und warum noch einmal sollten sich dasso viele Millionen Menschen ansehen wollen? Der eigentliche Reiz des Films liegt doch darin, dass den Einzelnen in der beschriebenen, scheinbar ausweglosen Situation immer noch eine vielleicht nicht konstruktive, aber zumindest aufregende Möglichkeit gewiesen wird: eine Gewalt, die sich gegen moralische Verurteilung absichert. Denn gegen eine Existenz aufzubegehren, die so erbärmlich ist wie die dieses Leiharbeiter-Clowns, das ist kein Verbrechen, sondern eine Selbstbefreiung, der folgende Terror nicht schuldhaft, sondern kathartisch, Joker keine Gangstergeschichte, eher ein Bildungsroman.

Ein freundliches Gesicht zeigen – das nützt nur etwas, wenn du im Fernsehen bist. Darauf insistiert der Joker-Film immer wieder. Wenn du aber ganz unten bist, dann interessiert sich keiner für deine Nettigkeitsversuche. Aber wenn du dann jemanden erschießt, dann feiern sie dich plötzlich – oder beachten dich zumindest.

Die Eschatologie des Stummelrevolvers

Das scheint die gefährliche Suggestion dieses Films zu sein: dass Gewalt ein legitimes Mittel sein kann, um es einer unheilbar kranken und bösen Gesellschaft heimzuzahlen. Aber selbst diese Befürchtung ist noch nicht konsequent genug: Als eigentlich beunruhigende Suggestion dieses Films sollte gelten, dass es vielleicht gar keine anderen Mittel gibt, einer so kaputten Gesellschaft zu begegnen, wenn man nicht zufällig wie Batman in einer Milliardärs-Villa geboren wird – dass Jokers Gewalt nicht nur legitim ist, sondern unausweichlich und darin sogar eine Art erlöserisches Potential liegt. Joker rettet vielleicht nicht die Welt, aber er rettet sich vor der Welt, die sich als korrupt erwiesen hat – eine Art Eschatologie des Stummelrevolvers. Da Moral oder Politik im Joker-Universum nur für Reiche reserviert sind, bleibt dem Rest bleibt bloß, weiter stumm zu vegetieren oder sich durch Akte des Terrors selbst zu ermächtigen. Wenn interessiert das Paradies, wenn man ein Feuer auf der Erde haben kann?

Vor Trittbrettfahrern zu warnen wirkt vor diesem Hintergrund ebenso übertrieben wie heuchlerisch: Als bräuchte es noch einen Kinofilm, um Menschen zu solchen Taten zu motivieren! Sie passieren längst, sie begegnen uns täglich in den Nachrichten. Der Joker-Film forderte uns nur auf, unsere Sichtweise darauf verändern: Die Terroristen, das sind nicht einfach die „Anderen“, deren Beweggründe wir, die Guten und Gesetzestreuen, nicht verstehen oder gar anerkennen müssen. Diese Taten sind die Quittung für unsere eigene Lebensweise, unsere Ignoranz,  unser Desinteresse an den Problemen von Menschen, die anders ticken als wir selbst. Der Joker-Film will uns damit eine Art Entschlüsselungscode geben für so verschiedene Phänomene wie Amokläufe, Terrorismus und menschenfeindliche Politik. Ob er sich damit vielleicht übernimmt, ist eine andere Frage.

Wenn es in diesem Film irgendeine produktive Botschaft gibt, dann die, dass die Verrückten uns etwas zu sagen haben – etwas über uns selbst als Teil einer Gesellschaft. Joker ist nicht einfach ein Wahnsinniger, der sich aus wahnsinnigen, also prinzipiell nicht diskutablen Gründen gegen eine gute Gesellschaft wendet. Joker tritt an, eine nicht reformierbare Welt zu überwinden, er transzendiert sie und wird so zu einer Art Messias des Bösen. So konfrontiert der Film unser alltägliches Verständnis von Moral und Politik mit einem Gegenentwurf von geradezu religiöser Radikalität. In den durchsäkularisierten Gesellschaften des Westens trifft er damit offensichtlich einen Nerv.

Ob wir wirklich so kaputt und verloren sind, ob das alles wahr ist oder nicht, davon will ich gar nicht anfangen. Dieser Film wird deshalb von so vielen Millionen in Amerika und in Europa gefeiert, weil er uns zeigt, was wir selbst schon lange geahnt haben, dass unsere Lebensweise gar nicht so toll ist, wie man uns immer wieder weisgemacht hat – und weil er eine Antwort von religiöser Qualität gibt, die nicht auf metaphysischen Prämissen ruht. Bei so viel Gegenaufklärung gibt es immer noch die kleine Hoffnung: Wenn man sich selbst so scheiße findet, kann man anfangen, darüber nachzudenken, was man anders machen müsste.

Und das wäre dann eine echte produktive Kraft.

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