Bernard Noël ist 1930 in einem kleinen Dorf namens Sainte-Genevieuve-sur-Argence in Südfrankreich geboren. Begeistert von der Philosophie gab er sein begonnenes Journalistikstudium auf. Er besuchte Vorlesungen von George Bataille über den Surrealismus und lässt sich zwischen diesem und der französischen Phänomenologie von Lévinas, Merleau-Ponty und Maurice Blanchot einordnen.
Nach seinem ersten 1958 erschienen Lyrikband Extraits du corps (Körperextrakte, 2010) brach er das Schreiben ab und engagierte sich gegen den Algerienkrieg. Erst neun Jahre später veröffentlichte er sein nächstes diesmal politisch motivierte Werk Chateau de cène. Dieser erotische – fast schon pornographische – Roman schildert die gewaltvollen Kriegsverbrechen und vor allem die sexuellen Übergriffe während des Algerienkriegs. Das Buch machte ihn bekannt. Aber ihm wurde auch ein Prozess angehangen. Und das Buch wurde eine Zeit lang zensiert. Doch das dadurch hervorgerufene provokante und politisch engagierte Bild von Noël gibt seine wahre Persönlichkeit nicht wieder.
Denn man muss vielmehr seinen stillen und introvertierten Charakter betonen. Sein in sich versunkenes Schweigen, das so manch einen schon in Verlegenheit gebracht hat, wird manchmal durch eine ganz leise und unsichere Stimme unterbrochen, die sich Wort für Wort vorsichtig forttastet. Seine Gedichte hören sich wie sorgfältig zusammengelegte Krümelchen an und sehen auch so aus. Und so wie er nicht spricht, spricht auch seine Sprache nicht, sondern dient vielmehr dem hervorbringen von Bildern. Die mehr noch als Bilder, eigentlich Skulpturen sind, weil sie wie Körper sich in einer materiellen Textur entfalten.
Eine solche Prädominanz des bildlichen zeigt sich in seinen zahlreichen Werken zur Kunstgeschichte. Darunter zählen Monographien zu Magritte und Jacques-Louis David, Texte über zeitgenössische Maler wie Zao Wou-Ki und Jan Voss, sowie phänomenologische Essais zum Auge und zum Blick und wie dieser sich zum Mentalen verhält. Die Malerei ermöglicht es uns, den Blick, der ja immer die Bedingung aller gesehenen Dinge ist, darzustellen. Und sie zeigt wie sehr dieser an die uns umgebende Außenwelt gebunden ist. Alle Themen, die Bernard Noël behandelt, sei es die Interaktion von Körpern und Sprache oder die Beziehung von Du und Ich, wird mit der Plastizität des Blicks anschaulich gemacht. Die Sprache verliert an abstrakter Klarheit und gewinnt dafür an sensibler Opazität.
Dieses Portait soll erst einmal nur mit seinem Antlitz vertraut machen. In der endgültigen Printausgabe werdet ihr dann sein Gedicht „Grand arbre blanc“ zum ersten Mal von mir ins Deutsche übersetzt lesen können. Das Gedicht soll gemeinsam mit dem hier entworfenen Gesicht eine tief persönliche Begegnung mit der noëlischen Poesie ermöglichen.