Gewöhnlich sprechen wir über die Zukunft in einer deskriptiven Art und Weise. In dieser geht es darum sprachlich darzustellen, was in den verschiedenen Zukünften möglicherweise passieren könnte oder notwendigerweise muss oder auf gar keinen Fall kann. Der Weg dieser Aussagen und deren zu Grunde liegendes Bewusstsein läuft dabei zunächst durch Gegenwart und Zukunft. Dabei ist die Gegenwart die Position aus der heraus nur eine Aussage über die Zukunft getätigt werden kann, denn sie ist der Ort, an dem wir uns verständigen. Die Vergangenheit hingegen fungiert als Historie aus deren zeitlichen Verlauf heraus sich überhaupt erst Regularitäten feststellen lassen, die dann hypothetisch auf die Zukunft angewendet werden – in sie hinein weitergedacht werden. Jeder Voraussage über die Zukunft liegen also bereits zwei starke Prämissen zu Grunde: Dass es eine Zukunft gibt und dass diese strukturell sowie kausal auf irgendeine Art und Weise mit Vergangenheit und Gegenwart zusammenhängt. [1] Die Divergenz der verschiedensten Zukunftsvorhersagen resultiert dann, von diesen beiden Prämissen ausgehend, darin, wie der Inhalt der Gegenwart (1) und der Vergangenheit (2) bestimmt und welche kausalen oder fundamentalen Zusammenhänge (3) daraus gewonnen werden können. Die Uneinigkeit, die in diesen drei Bereichen – allein schon über deren Konstitution – herrscht multipliziert sich in der Mannigfaltigkeit der Zukunftsszenarien.
Dies alles interessiert mich allerdings an dieser Stelle verhältnismäßig wenig. Unabhängig davon, wie die nähere und fernere Zukunft aussehen mag, möchte ich in diesem kurzen Aufsatz betonen, weil das mitunter vergessen wird, dass die Idee einer Zukunft, die potenziell offen ist, die Grundlage einer jeden freien oder freiwilligen Entscheidung ist. Die Domäne der Ethik ist die Zukunft. Das ist auch schon bei Aristoteles zentral:
Gegenstand des Vorsatzes kann nichts Vergangenes sein, […]. Man überlegt ja nicht das Vergangene, sondern das Zukünftige und Mögliche. [2]
Dabei wird Vorsatz (prohairesis/ προαίρεσις ) bei Aristoteles genauer definiert als gewolltes und überlegtes Streben nach Dingen, die in unserer Macht stehen.[3] Dass es eine Zukunft gibt kommt hier fundamental ins Spiel, insofern sie offen ist und somit eine Handlung überhaupt erst ermöglicht.
Damit wären wir beinahe wieder bei meinem ersten Absatz, insofern die dort angesprochenen Zukunftsszenarien ganz offensichtlich ethische Relevanz besitzen, wie wir am Beispiel des Klimawandels zu spüren bekommen (und bekommen werden). Allerdings muss ich an dieser Stelle auf eine Differenzierung in den aristotelischen Begrifflichkeiten aufmerksam machen. Es gibt nämlich bei ihm einen fundamentalen Unterschied in der Betrachtung und Analyse von Dingen: Einerseits gibt es Dinge, die notwendigerweise so sein müssen, wie sie sind, und somit unbeeinflussbar sind (Man kann keinem Stein angewöhnen nach oben zu fallen…4), und andererseits gibt es Dinge, die auch anders sein könnten, die beeinflussbar sind. Die Auseinandersetzung mit den Ersteren ist Teil des wissenschaftlichen Denkens (episteme/ επιστήμη ) , das in Wissen resultiert, die mit den Letzteren Teil des überlegenden Denkens (bouleusis/ βούλευσις ) . Dieses resultiert in einer Handlung.5 Für Aristoteles gibt es also einen wesentlichen Unterschied des Denkens abhängig vom Gegenstandsbereich des selbigen. Der Begriff der Überlegung (bouleusis/ βούλευσις ) ist dort genuin und ausschließlich praktischer Natur, weil die Ausgangslage ebenso wie das Resultat dieses Denkens ein anderes ist als das der theoretischen Betrachtung. In diesem Sinne ließe sich auch die Auseinandersetzung mit der Zukunft unterteilen in eine Betrachtung, die in der Bestimmung von Szenarien mündet, und eine andere, für die die Zukunft als Ort des Handelns konstitutiv ist.
Ich möchte mich also korrigieren: Ich interessiere mich sehr wohl für die Zukunft, aber nur insofern die über sie angestellten Überlegungen in einer Handlung münden können.
[1] Husserl, Edmund: Husserliana, Gesammelte Werke, Band VI, hrsg. von Walter Biemel, Martinus Nijhoff Publishers, Den Haag, ²1956, S. 28-29.
[2] Bekker: 1139b, zitiert aus: Aristoteles: Nikomachische Ethik, übs. und hrsg. von Ursula Wolf, Rowohlt, Hamburg, 2006.
[3] 1113a.
[4] 1103a.
[5] 1139b-1140a.