Oder:
Eine Frage des Habitus
Seitdem habe ich nie wieder ernsthaft eine Bewerbung zusammengestellt. Und sollte ich es jemals wieder tun wollen, müsste ich mich überwinden. Das letzte Mal, dass ich ein Motivationsschreiben verfasst habe. Das war im Dezember 2020. Auf ein Förderprogramm, das „Zukunftspersönlichkeiten“ fördern sollte. Im Bus hatte eine betrunkene Obdachlose rumgepöbelt und der Busfahrer rief die Polizei. Wir saßen beinahe eine halbe Stunde fest und alle waren zu peinlich berührt, um auszusteigen. Endlich zuhause waren es nur noch fünfzig Minuten bis zur Deadline.
Einige Wochen später.
Wurde die Bewerbung noch vor dem eigentlichen Auswahlprozess abgelehnt, weil man ihr „sehr schlechte Chancen“ zuschrieb. Was habe ich mich über die 20€ Bewerbungsgebühren geärgert. Und mein armer Lebenslauf. Der lag mal wieder ungeliebt auf irgendeiner Festplatte.
Dieser einen gescheiterten Bewerbung gingen voraus.
Sie stehen auf der Warteliste. Vielleicht schlage ich Sie vor. Mit Ihrem Abitur wird das schwierig. Sie bringen nicht das Notwendige mit. Wartelisten, warte. Da sind noch mehr Listen. Listen.
Wie gut spielen Sie überhaupt Klavier?
Das ist eine Frage, die Roxanne Gay bestimmt niemandem gestellt hätte. Roxanne Gay, amerikanische Literaturwissenschaftlerin und Feministin. Schreibt. Einige Jahre zuvor sinngemäß in „Bad Feminist“: Wir Feminist*innen haben das Problem, dass wir immer wieder Leute auf ein Podest stellen und dann enttäuscht sind, wenn sie scheitern. Betrachten Sie mich [Roxanne Gay] als bereits gescheitert. Ich [R.G] bin eine schlechte Feministin.
Es folgt eine kleine Auswahl anti-feministischer Laster, die Roxanne Gay, trotz theoretischer Überzeugung, einfach nicht lassen kann. Zum Beispiel zu sexistischem Hip-Hop tanzen.
Und da schämt man sich doch, wenn einen der eigene Stolz zu Fall bring. Dabei wollte man doch nur links an den Typen vorbeiziehen, die einen mitten im Satz unterbrechen und ungefragt überhaupt gar nichts machen. Die Blicke, die Diskussionen, jeden Zentimeter Einfühlsamkeit, nach dem man fragen muss. Und diejenigen, die Nicht-Typen, die nicht zu einem gestanden haben. An denen will man auch vorbei. Es wäre mir doch lieber, zu sexistischem Hip-Hop zu tanzen, als mich über das Auswahlkomitee zu ärgern.
Und doch…“[f]or each of us women, there is a dark place within, where hidden and growing our true spirit rises” [1] Also nur eine Frage der Zeit, oder des Habitus oder: Wie gut bewähren wir uns im Kampf um den Alltag? Zu was ist unsere Fantasie noch im Stande?
Illustration von Hannah Eirich
[1] Lorde, Audre (2007): Poetry is not a Luxury. In: Sister Outsider. Essays and Speeches. Crossing Press, Berkley, CA.
Ein Kommentar zu „Alles Gute zum Tag der Frau, du Arschloch“