Wirklichkeit als Beziehung. Das Konzept der relationalen Ontologie bei Peter Knauer

Wir denken das Wesen des Christentums noch lange nicht entschieden genug. Einen revolutionären Ansatz einer Besinnung auf das, was den Kern der christlichen Botschaft ausmacht, legt der Jesuit Peter Knauer mit seiner ökumenischen Fundamentaltheologie „Der Glaube kommt vom Hören“ vor. Mit dem Titel spielt Knauer auf einen Vers im Römerbrief des Apostels Paulus an: „Der Glaube kommt vom Hören, das Hören aber vom Wort Christi.“ (Röm 10,17). Das Zuhören bildet den ersten Schritt des Glaubens.1 Religiöser Glaube ist damit nichts, was sich der Einzelne in seiner Stube zurechtlegt, kein Produkt der eigenen Wünsche oder der Vorstellungen eines bestimmten Zeitgeistes. Glaube ist vielmehr die Antwort auf etwas, das von außen an einen herangetragen wird – das man gehört hat. Damit wird religiöser Glaube dem rein privaten Kontext entrissen. Glaube als aussagbarer ist öffentlich. Damit muss der Glaube sich auch vor der Vernunft rechtfertigen lassen. Glaubenswert ist also nicht irgendeine Aussage oder selbst erdachte Überzeugung; als glaubenswert kommt allein in Frage, was der Vernunft nicht widerspricht. Und genau dieses Wagnis eines vernünftigen Diskurses über das, was geglaubt werden kann, geht der Fundamentaltheologe Knauer in seinem Buch „Der Glaube kommt vom Hören“ ein.

Wenn der Glaube vom Hören kommt und zugleich nicht aus dem Menschen selbst kommen kann, dann muss er letztlich aus Gott kommen. Das Wort „Gott“ hat nach Knauer eine klar aussprechbare Bedeutung: Gott ist der, „ohne wen nichts ist“. Ein schnelles Missverständnis dieses Mammuts, d.i. Gottesbegriffes wäre nun die Annahme, dass mit der Formel „ohne wen nichts ist“ die Unbegreiflichkeit Gottes abgeschwächt wäre. Ist es nicht paradox, wenn Knauer behauptet einen unbegreiflichen Gottesbegriff gefunden zu haben? Die Unklarheit löst sich auf, wenn man folgende Argumentation zulässt: Der Gottesbegriff „ohne wen nichts ist“ wird der Unbegreiflichkeit Gottes erst in ihrem ganzen Ausmaß gerecht, denn er enthält keine Erkenntnis vom Wesen Gottes, sondern eine Erkenntnis von der Welt. Die Formel „ohne wen nichts ist“ sagt uns etwas über die Welt und ihre Wirklichkeit. Knauers Gottesbegriff ist somit Weltbegriff mit Transzendenzverweis.2

Die Welt wird im Christentum als Schöpfung Gottes vorgestellt. Der Begriff der „Schöpfung“ wird heute oft mit „Natur“ gleichgesetzt. Dabei wird übersehen, dass ein solches Verständnis nicht dem christlichen Schöpfungsbegriff entspricht. Schöpfung im christlichen Verstande ist umfassender und besagt eine radikale und diachrone Abhängigkeit aller Wirklichkeit von Gott. Der Begriff der Schöpfung kann daher auch nicht auf den Urknall angewendet werden. Vielmehr ist alles, was es gibt, d.i. der gesamte Kosmos, geschaffen und damit Teil der Schöpfung. Neben der Natur und damit selbstverständlich auch dem Menschen selbst sind das z.B. auch alle technischen Erzeugnisse. Die Wirklichkeit der Welt als Schöpfung geht nun nicht darin auf, physikalische Materie oder geistige Struktur zu sein. Die christliche Rede über die Welt als Schöpfung bedeutet: Die Welt ist in jeder Hinsicht abhängig von Gott. Mit anderen Worten: Die Welt ist eine Beziehung auf Gott. Als Beziehung kann die Welt in totaler Abhängigkeit von Gott und damit als Schöpfung gedacht werden. Gott ist kein himmlischer Baumeister mit langem weißem Bart, der die Welt mit ihren physikalischen Gesetzen vor der Zeit mit einem großen „Peng“ errichtet hat. Vielmehr ist Gott der Zielpunkt derjenigen Beziehung, die die Welt ist.3

Welt als Beziehung. Wirklichkeit als Beziehung. Diese Denkweise ist für uns moderne Menschen sehr ungewohnt, da sie das Vorverständnis von Wirklichkeit durchbricht, mit dem wir in Zeitungen, Gesprächen und den meisten Wissenschaften umgeben sind. Doch wer den Gedanken einmal zulässt, dass die Welt nicht eine Beziehung zu Gott hat, sondern diese Beziehung in ihrer gesamten Wirklichkeit ist, der steht unmittelbar vor einem Grundgedanken knauerscher Theologie: dem beziehungshaften Wirklichkeitsverständnis. Oder in Knauers eigenen Worten: Der relationalen Ontologie.4

Dieses Wirklichkeitsverständnis gewährt eine neue Sicht auf den Menschen, der ein Teil der Welt ist. Dem Menschen kommt es zwar zu, einen aus Zellen gebauten Körper und eine geistig-seelische Existenz zu haben. Doch in seinem Wesenskern ist der Mensch gerade keine Substanz, sondern eine Beziehung. Der Mensch ist ein Streben, ein Ausgerichtetsein auf etwas, das er nicht selbst ist. Das weiße Mammut des Menschen ist das jenseitig Andere, was wir „Gott“ zu nennen gewohnt sind; von diesem „weißen Mammut“ ist der Mensch ganz abhängig, da er eine Beziehung ist und jede Beziehung von ihrem Zielpunkt her lebt – ohne Zielpunkt keine Beziehung. Die Jagd, die der Mensch nun auf einmal selbst ist, verliert dabei ihre Tötungsabsicht, die sich vielmehr zu einer Lebensabhängigkeit verwandelt hat.

Wer relationalontologisch, d.h. beziehungshaft, denkt, dem öffnet sich eine neue und ungeahnte Sicht auf die Welt. Wer sich auf das Wagnis dieses ungewohnten Wirklichkeitsverständnisses einlässt, für den oder die erschließt sich die eigene Existenz als Beziehung. Von der Einsicht in die grundlegende Beziehung, die wir sind, gewinnen ebenso die zwischenmenschlichen Beziehungen eine neue Qualität. Jede Begegnung zwischen zwei Menschen ist damit wirklicher als die Materie, die uns umgibt. Der Blick in die Augen eines anderen Menschen, eine harmonische und jahrelange Zusammenarbeit, eine vertrauensvolle Partnerschaft, ein flüchtiger Gruß auf dem Weihnachtsmarkt werden zu den Lebensadern, die unser Dasein durchziehen.

Was wir bisher von Knauers Theologie zu rekonstruieren versucht haben, gehört zur natürlichen Theologie, zur philosophischen Gotteslehre, zur vernünftigen Erkenntnis über Gott. Für die Herleitung der Geschöpflichkeit aller weltlichen Wirklichkeit und damit für ihre Beziehungshaftigkeit formuliert Knauer – ganz dem Duktus der natürlichen Gotteserkenntnis verpflichtet – im weiteren Verlauf seines Buches einen Geschöpflichkeitsbeweis. Diesen stellt er in eine Reihe mit klassischen Gottesbeweisen wie dem ontologischen oder dem kosmologischen Gottesbeweis und führt einen präzisen Vergleich durch. Der Geschöpflichkeitsbeweis vermag dabei Lücken der klassischen Beweise zu füllen.5 Mit dem Nachweis der Geschöpflichkeit der Welt stehen wir vor einer der wesentlichen Grundeinsichten Knauers, die ihn auch von vielen anderen theologischen Konzepten unterscheidet: Eine Offenbarung Gottes als Beziehung Gottes auf die Welt ist keineswegs selbstverständlich und nicht ohne weiteres vernünftig zu denken.6 Warum ist eine Offenbarung des allmächtigen Gottes nicht ohne Probleme anzunehmen? Die Antwort: Weil die Welt nicht zugleich eine Beziehung und ein Empfänger für eine Nachricht Gottes sein kann. Das würde der Wirklichkeit der geschaffenen Welt widersprechen, die ja gerade in ihrer Gesamtheit, also zu 100%, darin besteht, eine Beziehung auf Gott als Zielpunkt zu sein. Wie für jede Ontologie ist es auch für die relationale Ontologie entscheidend, eine Aussage über die Gesamtheit der Wirklichkeit zu treffen. Was eine Beziehung auf etwas ist (und eben nicht nur hat), kann nicht zugleich Zielpunkt einer Beziehung von etwas anderem sein. Ist also mit dem Geschöpflichkeitsbeweis jede Form von Offenbarungsreligion erledigt und der „Bund“ Gottes mit den Menschen zerstört? Ist Religion endgültig passé und als unvernünftiges Gedankenspiel anzusehen? Ist jede Form göttlicher Offenbarung undenkbar und unvernünftig? Es gibt einen Ausweg für das vernünftige Denken: Wer ihn kennenlernen möchte, sollte sich mit Knauers äußerst bereicherndem theologischen Ansatz befassen.


[1] Vgl. Knauer SJ, Peter: Der Glaube kommt vom Hören. Ökumenische Fundamentaltheologie, Norderstedt 72015, 18.

[2] Vgl. Ebd. 26f.

[3] Vgl. Ebd. 28-30.

[4] Vgl. Ebd. 9; 25-55.

[5] Vgl. Ebd. 42-61.

[6] Vgl. Ebd. 9; 83.

Ein Kommentar zu „Wirklichkeit als Beziehung. Das Konzept der relationalen Ontologie bei Peter Knauer

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